Was im Vorfeld noch als Spitzenspiel tituliert wurde, weckte dann doch schnell Erinnerungen an Erstrundenspiele im DFB-Pokal zwischen Bundesligist und Regionalligist, wo Letzterer zwar engagiert startete, noch zügiger allerdings in die Schranken gewiesen wurde und schlussendlich froh sein konnte, dass in der zweiten Hälfte auch dem Gegner bewusst war, dass die Sache bereits gelaufen ist. Nun kann es aber nicht Leverkusens Anspruch sein, dankbar über hintenraus gnädige Münchener zu sein. Ein Eindruck, der sich mit zunehmenden Spielverlauf zumindest beim Publikum einstellen konnte. Nach einem solchen Spiel drängen sich grundsätzliche Fragen über den Status Quo der Bundesliga auf, geblickt soll an dieser Stelle aber auf Leverkusen unter Gerardo Seoane und inwiefern die Pleite gegen München an dem bisherigen Bild etwas ändert.
In Leverkusens Spiel finden sich immer wieder sehr prägnante Spielphasen. Phasenweise ein sehr intensives, aggressives Pressing, durchaus hoch. In anderen Momenten wurde unter Beweis gestellt, dass die Abläufe in Umschaltmomenten sehr gut funktionieren, auch aus einer tieferen, passiveren Grundordnung heraus. Im Vergleich zu vorherigen Cheftrainern weist Leverkusens Spiel nun eine höhere Variabilität auf, was offenkundige Vorteile mit sich bringt, gleichzeitig aber eine einheitliche Geschlossenheit voraussetzt. Schließlich muss allen Spielern jederzeit klar sein, welcher Ansatz gerade gewünscht ist. Davon war die Mannschaft am letzten Wochenende maximal weit entfernt. Die vorderste Reihe lief die gegnerische Defensive kaum geschlossen an, um zu versuchen, Abspiele in eine bestimmte Richtung zu lenken. Das Mittelfeld stand einsam da, weder arbeitete die Offensive zurück, noch war die Viererkette bemüht, die Räume zwischen sich selbst und dem Mittelfeld irgendwie kompakt zu halten. Natürlich haben die Münchener Angreifer diese Lücken auch provoziert, haben sich passend positioniert, sodass die Defensive ständig vor der Frage stand, entweder herauszurücken, in der Gefahr den Raum hinter einem freizumachen, oder den Raum abzusichern, womit man aber eine gegnerische Überzahl im Zentrum ermöglicht hatte. Aber dass die Bayern es schafften, diese Problematik so oft zu provozieren, ist nur die eine Sache, dass Leverkusens Reaktion wahlweise falsch, zu spät oder unabgestimmt war, die andere Sache. Dass dies so deutlich schief ging, überraschte schon. In vorherigen Spielen gab es diesen sehr kompakten Viererblock aus Innenverteidigung und Sechsern, der auch nötig war, weil bei eigenen Angriffen die Flügelspieler einrückend die Angreifer unterstützen, hoch agierende Außenverteidiger die Räume auf den Seiten füllen, sodass Innenverteidigung und zentrales Mittelfeld für die Restverteidigung essentiell sind, wenn dem Gegner ein Ballgewinn gelingt.
Defensiv sah es vor dem Spiel gegen München auf dem Papier zwar sehr gut aus, aber auch das gelegentlich glücklich. In allen vorherigen Spielen gab es vereinzelt grobe Unabgestimmtheiten, ungewöhnliche Zuordnungen und auch einen spürbaren Qualitätsabfall zwischen erster und zweiter Besetzung. Eine Umstellung auf ein 5-2-3 minimiert diese Wackler regelmäßig, das ist aber immer erst der Ansatz, wenn es darum geht, ein Ergebnis zu halten. Darin ist auch Lukáš Hrádecký bislang sehr gut, der sich mehrmals profilieren konnte.
Gegen den Rekordmeister war für jeden offenkundig, dass die Doppelsechs aus Demirbay und Amiri defensiv überfordert war. Im Hinblick der offensiven Veranlagung beider Spieler kam das auch nicht sonderlich überraschend. Sie spielten zuvor noch nie so zusammen und werden es zukünftig wohl auch nicht mehr. Es war eine Notlösung, da Palacios, Baumgartlinger, Aránguiz und Andrich nicht zur Verfügung standen. Aber selbst wenn es anders gewesen wäre, alle zur Verfügung gestanden hätten, so wäre das oben beschriebene Problem dadurch allein nicht gelöst worden, dass es kollektiv einfach von vorne bis hinten nicht passte.
Und das ist schon ein neuer Aspekt, der in den vorherigen Spielen so nicht sichtbar war. Bei allen Zweifeln, die es während eines jedes Spiels zuvor immer wieder gab, die grundsätzliche Struktur war immer gegeben. Natürlich wackelte Leverkusen auch manchmal, war aber doch konstanter als zuvor, sowohl während eines Spiels, als auch übergreifend. Weshalb dann auch intensiv über individuelle Punkte gesprochen werden konnte, diesbezüglich gab es viele erfreuliche Entwicklungen. Es macht sehr viel Spaß, dass mit Frimpong und Bakker endlich mal wieder zwei Außenverteidiger im Kader sind, die auch die Offensive beflügeln und Wirtz spricht sowieso für sich. Palacios und Demirbay fühlen sich wie Neuzugänge an, weil ein überzeugendes Umfeld für sie gefunden scheint, was dann auch ein wenig überstrahlt, dass dies für Aránguiz aktuell nicht gilt. Mit Patrick Schick scheint Leverkusen nun den verlässlichen Stürmer gefunden zu haben, der zuvor so lange gesucht wurde.
Es lief viel zusammen, der bisherige Erfolg macht sich insbesondere durch die vielen erzielten Tore bemerkbar. Maßgeblich liegt dies allerdings an der Effizienz, nicht daran, dass besonders viele Chancen herausgespielt wurden. Bei den abgegebenen Schüssen liegt die Werkself nur im Mittelfeld der Bundesliga. Nun ist es grundsätzlich nicht ungewöhnlich, dass Spitzenmannschaften überdurchschnittlich effizient sind, allerdings liegt Bayer Leverkusen in der Bundesliga und Europa League mit 27 Toren bei 17,4 xG in einem so stark abweichenden Bereich, dass sich die Frage stark aufdrängt, ob die Mannschaft nicht auch einfach viel Glück im Torabschluss hatte. Es wäre die pessimistische Erzählung: Glück im Abschluss, Glück in der Verteidigung, das kann bei guter sonstiger Leistung nach einem Viertel der Saison für ein Topspiel um die Tabellenführung reichen. Diese Erzählung mag sich bewahrheiten, lässt dann aber dann doch viele positive Weiterentwicklungen außer Acht bei denen sich nun zeigen muss, wie verlässlich sie sind. Zumindest personelle Verlässlichkeit wird in den nächsten Wochen nicht ins Mittelfeld einkehren, was es nicht leichter macht, aber entscheidender wird, dass die Abläufe im Gesamtgefüge wieder passen. Wie das Spiel gegen Bayern schlussendlich einzuordnen ist, lässt sich nun noch nicht sagen, dafür braucht es auch die zukünftigen Partien. Egal wie die werden, es wird die Leistung gegen München nicht aufwerten, aber es könnte zu einer positiveren Erzählung dieses Spiels führen: Die Taktik war Mist, das Trainerteam hat sich mächtig vertan, es war so kein gangbarer Weg, so kam eins zum anderen. Das kann man korrigieren, hoffentlich sehen wir es.