„Ich nehme immer den Zwei-Punkte-Schnitt als Basis“ sagte einst Fernando Carro. Es ist ein vernünftiger Punkte-Maßstab zur Leistungsbeurteilung, einerseits ambitioniert, andererseits nicht völlig illusiorisch. Zuletzt erreichte Leverkusen in der Saison 2010/2011 mit 68 Punkten am Saisonende dieses Ziel, übertroffen konnte es seit der Einführung der Drei-Punkteregel nur in den Spielzeiten 2001/2002 (69 Punkte), 1999/2000 (73 Punkte) und 1996/1997 (69 Punkte). Gleichzeitig reichten 68 Punkte im selben Zeitraum stets für den vierten Platz, meistens sogar recht bequem und auch in dieser Saison deutet bisher nichts darauf hin, dass sich dies ändern würde. Carros Maßstab nach müsste Leverkusen nach 17 Spieltagen 34 Punkte haben, es sind aber nur 28. Überzeugend ist das bisher nicht, schlecht aber auch nicht. Schlecht ist stattdessen der Zustand der Bundesliga, der es zulässt, dass diese Leistung für den vierten Platz gereicht hat.
Leverkusen ist dabei näher an einem direkten Abstiegsplatz (12 Punkte) als an den Bayern (15 Punkte), was gut den Zustand der Liga zeigt. Bayerns zehnte Meisterschaft in Folge scheint unausweichlich, gleichzeitig suggeriert das enge Tabellenfeld zwischen Freiburg und Bielefeld eine Attraktivität, die nicht gegeben ist. Ginge es allein um die Spannung, könnten wir auch alle dritte Liga schauen. In der Bundesliga setzt sich ein Trend fort: Die Bayern führen die Tabelle an, einzig nennenswert verfolgt von den Dortmundern, die zu wenig Punkte haben, um Meister zu werden, gleichzeitig aber auch stets zu viele, um aus den vordersten Rängen rauszufallen. Danach folgt der Rest, inklusive Leverkusen. Und wenn es gelänge, diese Restegruppe mitanzuführen, um schlussendlich den dritten oder vierten Platz festzumachen, dann würde man dies als Erfolg feiern, auch wenn man damit eher ein Einäugiger unter den Blinden wäre. Nicht unwahrscheinlich, dass Leverkusen seine Ziele erreicht, die eigenen Ansprüche aber verfehlt.
Leverkusens Anspruch sind nicht nur durchschnittlich zwei Punkte pro Spiel, Simon Rolfes sagte einst, der Klub definiere sich „über einen angriffslustigen, dominanten und technisch anspruchsvollen Stil. Und diese Spielweise wollen wir gemeinsam mit Gerardo Seoane weiterentwickeln.“ Auch hierbei handelt es sich um einen hohen Anspruch, der bisher nicht vollends erreicht werden konnte.
Angriffslustig ist man zumindest zu Spielbeginn. Die aggressive Herangehensweise imponiert, macht Spaß, zugleich ist es erstaunlich, dass die Überrumpelung des Gegners nach wie vor so erfolgreich funktioniert, obwohl jeder Gegner sich dieser Gefahr natürlich bewusst ist. Gleichzeitig lässt sich aber ein Phänomen beobachten, was aus der vergangenen Hinrunde bereits bekannt ist: Übermäßige Effizienz. Was prinzipiell eine gute Sache ist, kann sich schnell als Gefahr herausstellen. Dann nämlich, wenn die Effizienz eine geringe Anzahl an Torchancen kaschiert. Bei nachlassender Effizienz – und es wäre überraschend, ließe sie nicht nach – wird dann schnell ein handfestes Offensivproblem deutlich. In der Bundesliga gibt es zwar nur drei Vereine, die mehr Torschüsse abgaben, dafür aber fünf Mannschaften mit einem höheren xG-Wert und 12 Mannschaften mit mehr Schüssen.
Technisch anspruchsvoll ist es über viele Phasen. Besonders in der Offensive gelingt es, die individuellen Stärken von Wirtz und Schick in Szene zu setzen. Natürlich ist man deshalb von diesen beiden Spielern besonders abhängig, was man als Schwäche auslegen könnte. Ich denke es ist aber vielmehr ein unvermeidbares Problem, wenn man zwei solcher Spieler im Kader hat. Allerdings besteht nicht nur eine Abhängigkeit, deren Stärke verschleiert auch ein wenig, dass sich die Mannschaft schwer tut, systematisch Angriffe zu erspielen. Insbesondere wenn mal rotiert wird und sich ein Amiri oder Alario eher wie Fremdkörper im Spiel anfühlen.
Von einem dominanten Spiel ist man noch weit entfernt. Dominanz kann man sich über viele Wege holen. Beispielsweise über Ballbesitz, wo Leverkusen mit 52% aktuell nur auf dem achten Platz der Bundesliga steht. Aber auch ohne geht es, wenn es gelingt, dass der Gegner trotz seiner Feldüberlegenheit kaum gefährliche Torchancen erarbeiten kann. Da wären wir bei der aktuell größten Schwäche. 92 Torschüsse hat Leverkusen in der Bundesliga bisher zugelassen, einfacher war es für die Gegner nur gegen den VfB Stuttgart und Greuther Fürth. Die vielen frühen Führungen bringen wenig, wenn es danach nicht gelingt, das Spiel auch kontrolliert zu beenden. Dass dreimal gar eine 2:0-Führung nicht zu seinem Sieg führte, sticht dabei nur symptomatisch hervor. Erschwerend kommt hinzu, dass besonders Tapsoba und Hrádecký nicht an vorherige Leistungen anknüpfen können. Im zentralen Mittelfeld konnte sich kein Duo durchsetzen, dabei wäre gerade auf dieser Position ein wenig Stabilität wichtig. Zwar war die Rotation oftmals verletzungsbedingt begründet, aber auch nun, wo abgesehen von Baumgartlinger alle wieder fit sind, blieb dieses Vakuum bestehen.
Auch die Umstellungen im Spiel konnten mich bislang nicht überzeugen. Personelle Wechsel kamen für mich manchmal erstaunlich spät, beispielsweise gegen Frankfurt, taktische Umstellungen begrenzten sich meist auf die Fünferkette, wodurch die Passivität noch verstärkt wurde.
Man darf bei alledem nicht vergessen, dass Gerardo Seoane dieser Mannschaft erst seit einem halben Jahr vorsteht. Klar ist aber, dass die Mannschaft sich steigern muss, um die Meisterschaftsziele schlussendlich zu erreichen. Womöglich aber nicht so sehr, wie man es der Bundesliga wünschen würde.