Gut, aber nicht gut genug

In den fünf Saisons zuvor gelang es insgesamt nur ein einziges Mal, nun war es wieder so weit: Bayer Leverkusen qualifizierte sich für die Champions League. Doch reicht das allein, um von einer guten Saison zu sprechen?

Blicken wir auf die Ausgangslage zurück: Mit Gerardo Seoane stand zwar ein neuer Trainer an der Seitenlinie, der Kader konnte aber größtenteils zusammengehalten werden. Zwar gab es einige Abgänge, die meisten dieser Spieler haben aber schon zuvor keine signifikante Rolle mehr gespielt. Leon Bailey und die Bender-Zwillinge bildeten die Ausnahme. Ersterer hinterließ vor allem sportlich eine Lücke, füllte aber die Kassen, Letztere beendeten ihre Karrieren und traten damit vor der Saison eine Diskussion über fehlende Führungsspieler im Kader los. Diese verstummte dann aber, u.a. weil Robert Andrich sich als Königstransfer herausstellte.

Auch die weiteren Neuzugänge hinterließen überwiegend einen positiven Eindruck: Amine Adli kam für kolportierte 7,5 Millionen Euro und stellte sich als ein guter Rotationsspieler auf der Außenbahn heraus. Jeremie Frimpong wechselte zwar schon ein halbes Jahr zuvor im Winter, entwickelte sich aber in der abgelaufenen Spielzeit zum besten Rechtsverteidiger Leverkusens seit Daniel Carvajal. Nur auf der linken Seite fehlt nach wie vor eine solche Qualität, denn Mitchel Bakker präsentierte sich nach einem vielversprechenden Start nicht als eine Verbesserung gegenüber Wendell. In der Innenverteidigung wurde mehr Geld ausgegeben, insbesondere für Odilon Kossounou. Nirgendwo fällt mir die Spielerbewertung so schwer wie auf dieser Position. Verletzungsbedingt kam es immer wieder zu anderen Kombinationen, vereinzelt bestand sogar die gesamte Viererkette aus gelernten Innenverteidigern. Niemand zeigte eine Leistung, die restlos überzeugte, bei Kossounou erwartet man, dass sein Potenzial höher ist, bei Tapsoba weiß man, dass sein Potenzial höher ist, gleichzeitig stabilisierten sich Spieler auf einem ordentlichen Niveau, Jonathan Tah wäre da positiv hervorzuheben. Letztlich ist die Transferpolitik positiv einzustufen, widmen wir uns daher der Saison im Allgemeinen.

Einerseits war es wohl die konstanteste Saison seit längerer Zeit. 28 Punkte (Platz 4) konnten in der Hinrunde erreicht werden, in der Rückrunde konnte das trotz der zeitweilig erheblichen personellen Ausfälle mit 36 Punkten (Platz 2) sogar deutlich gesteigert werden. Man brachte nicht immer über die komplette Spielzeit einer Partie diese Konstanz auf den Rasen, insbesondere zum Ende der Hinrunde war der Leistungseinbruch in den Schlussminuten ein großes Thema, aber im Groben und Ganzen war das schon in Ordnung, insbesondere da man sich mit zunehmendem Saisonverlauf steigern konnte. Natürlich finden sich Leistungsschwankungen, teilweise auch deutliche, aber es ist eine Illusion, zu glauben, sie ließen sich gänzlich verhindern. Letztlich geht es um die Frage in welcher Frequenz diese auftauchen und auf welchem Niveau sie stattfinden. In beiden Kategorien gibt es eindeutig noch Verbesserungspotenzial, gleichzeitig müsste man aber auch einige Jahre zurückgehen, um eine Saison zu finden, wo es besser funktionierte. Das liegt auch daran, dass es gelang, auch mal schlechtere Spiele irgendwie zu gewinnen, das Auswärtsspiel gegen Wolfsburg in der Rückrunde dürfte diesbezüglich vielen noch in Erinnerung sein. Dies war kein Spiel, welches repräsentativ für die Saison steht, es zeigte sich aber abermals eine unglaubliche Effizienz. In der Bundesliga erzielte Leverkusen 16,7 Tore mehr als nach xG (Statsbomb) zu erwarten gewesen wäre, fast die Hälfte geht dabei auf Schick zurück.

Rückgrat dieses Erfolges war Leverkusens Offensiv-Trio aus Schick, Wirtz und Diaby. 80 Tore konnten in der Bundesliga insgesamt erzielt werden, nur Dortmund (85) und Bayern (97) kamen auf mehr. Das ist nicht nur ein Vereinsrekord, es sind auch 27 Tore mehr als letzte Saison. Eine besondere Rolle kam dabei Wirtz zu, der immer wieder Räume zog, sodass es sehr oft gelang, Schnittstellen zu finden. Verlor die Mannschaft aber den Ball, presste man hoch und aggressiv, allerdings meist nur für eine kürzere Zeitspanne. Denn gelang der Rückgewinn des Balles innerhalb weniger Sekunden nicht, sortierte man sich meist defensiver. Ständig gab es Spielphasen mit wenig Ballbesitz, in denen Leverkusen mit zwei tiefen Viererketten in der eigenen Hälfte verteidigte und auf den Umschaltmoment wartete. Dabei zeigte sich allerdings – um es positiv zu formulieren -, dass in diesen Phasen noch das größte Entwicklungspotenzial liegt. Allzu regelmäßig verfiel Leverkusen in eine Passivität, die unmittelbar am eigenen Strafraum beim Machen von Fehlern dann direkt bestraft wurde. Man muss nur an das Spiel gegen den 1. FC Köln in der Hinrunde denken, es ließen sich aber auch weitere Beispiele finden. 47 Gegentore sind zu viel, gegen Dortmund und Bayern gab es in Summe je sechs Gegentore, für die anstehende Champions-League-Gruppenphase wird man sich in dieser Angelegenheit steigern müssen. Das Argument, dass man sich in einer Umbruchssaison befand, lasse ich dabei aber nicht gelten. Es stimmt zwar, welche zuletzt abgeschlossene Saison war denn aber keine?

Nichtsdestotrotz: Dass es trotz prominentester Ausfälle gelang, die Champions-League nicht zu verspielen, ist ein Erfolg, den man nicht unterbewerten sollte. Ich bin mir nicht sicher, ob das unter Roger Schmidt oder Peter Bosz auch gelungen wäre, die sich wohl nicht so taktisch flexibel wie Gerardo Seoane gezeigt hätten. Die Entwicklung von einer Spielweise, die auf Wirtz als Zehner zugeschnitten war, auf eine, wo diese Position gar nicht mehr existiert, sondern die beiden Flügelspieler eher in Halbräumen agierten, hat gut funktioniert.

Andererseits waren die Pokalwettbewerbe wieder einmal absolut enttäuschend, insbesondere das Ausscheiden im DFB-Pokal gegen den Karlsruher SC. Fairerweise muss man sagen, dass das Zusammenkommen dieser Niederlage höchst unglücklich war. Normalerweise verbietet es sich deshalb, aus diesem einen Spiel größere Schlüsse zu ziehen, dennoch fügt sich dies in eine Reihe von Spielen vergangener Jahre, das spätere Ausscheiden im Achtelfinale der Europa League kam dort dann auch dazu. Es wurde dann mit zunehmendem Saisonverlauf noch bitterer, als man im DFB-Pokal beobachten konnte, welche anderen Mannschaften auch ausgeschieden sind und welche Möglichkeit dieses Jahr bestanden hätte. In der Europa League gilt Gleiches, denn was Eintracht Frankfurt und die Glasgow Rangers teilweise wiederholt sportlich schafften, sollte für Leverkusen eigentlich auch möglich sein. Aber man wird den Eindruck nicht los, dass man es mit unterschiedlichen Haltungen zu tun hat. Was für die Einen in diesen Momenten das Größte ist, scheint für Leverkusen ein Wettbewerb zu sein, den man spielt, bis man nächstes Jahr dann hoffentlich wieder in der Königsklasse vertreten ist.

Letztlich wird es keine Saison sein, die in Erinnerung bleiben wird. Ja, es war ein schöner Moment, sich wieder für die Champions League zu qualifizieren, aber welche Momente dieser Spielzeit werden noch in Erinnerung bleiben? Im DFB-Pokal gab es keine, in der Europa League gab’s ebenso ein klangloses Ausscheiden, die Spiele gegen den 1. FC Köln möchte man ebenfalls lieber vergessen. An das 5:2 in Dortmund wird man beim nächsten Zusammentreffen gerne zurückdenken, es trägt aber keine ganze Saison. Was bleibt ist ein unspektakuläres Jahr. Im Positiven in der Bundesliga, weil man mit sieben Punkten Vorsprung auf Platz 5 schlussendlich sich souverän für die Königsklasse qualifizierte und im Negativen in den Pokalwettbewerben, wo man wenig glamourös ausschied. Aber in einem Umfeld, wo der deutsche Meister zum zehnten Mal in Folge aus München kam, kommt den Pokalwettbewerben zwangsläufig eine besondere Bedeutung zu. Dem wurde der Verein nicht gerecht. Und letztlich wurde man damit der Saison auch nicht gerecht. Es war eine gute Saison und gleichzeitig nicht gut genug.

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