Betrachtet man nur das Leverkusen unter Peter Bosz, hat man allen Anlass, freudig in die Zukunft zu schauen. Bei einem Schnitt von zwei Punkten steht die Mannschaft auf dem dritten Platz der Rückrundentabelle. Und selbst das Ausscheiden aus beiden Pokalwettbewerben erscheint nur als kleiner Makel, wenn man an die sonstigen so spielfreudigen Auftritte zurückdenkt. Peter Bosz scheint einen wirklichen Neubeginn in Leverkusen eingeleitet zu haben und trotzdem ließe sich argumentieren, dass eigentlich alles so sei wie immer. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man nicht nur auf die Gegenwart schaut, sondern auch den Blick zurück wagt. Dann ergibt sich ein frustrierendes Muster, dem ich mich aber auch nicht fatalistisch hingeben möchte.
Warum alles so wie immer scheint, …
Obwohl neben dem Platz neue Akteure vorzufinden sind, zeichnet sich auf dem Platz ein bekanntes Muster ab. Das Potenzial in Leverkusen ist schon seit vielen Jahren ungebrochen hoch, phasenweise konnte dieses auch konstant abgerufen werden. Nun sind viele Hoffnungen mit Peter Bosz verbunden, die auch Roger Schmidt und Heiko Herrlich schon bei Fans und Beobachtern erzeugten, wenngleich auch nie erfüllen konnten. Die Gründe waren in der Vergangenheit oft unterschiedlich, die Resultate aber nicht. Im DFB-Pokal scheiterte die Werkself nicht nur verschmerzbar am FC Bayern München, sondern vor allem auch schmerzvoll an Dresden, Wolfsburg, Kaiserslautern, Bremen, Lotte und zuletzt an Heidenheim. In der Champions League konnte zwar mehrmals das Achtelfinale erreicht werden, kurz vor einer Überraschung verlor die Mannschaft aber stets. Und mit dem Aus gegen Krasnodar reihte sich Bosz in eine Reihe von völlig ambitionslosen Europa-League-Spielzeiten ein. Das Muster ist gleich: Großes Potenzial, berechtigte Hoffnungen, geringe Konstanz und schlussendlich vor allem eins: Ernüchterung. Bosz konnte noch nicht unter Beweis stellen, Leverkusen von diesem Paradoxon befreien zu können. Er ist erst seit kurzer Zeit Cheftrainer, dementsprechend ist er diesen Beweis auch noch nicht schuldig, aber das Ausscheiden gegen Heidenheim und Krasnodar, sowie auch die Niederlage gegen Bremen, passen bislang eher zum alten Bayer.
… aber nicht alles wie immer bleiben muss.
Bosz kam mit einem klaren Plan nach Leverkusen, Heiko Herrlich fehlte eine unverwechselbare Spielidee. Mal wurde früh gestört, mal zog die Mannschaft sich weit zurück. Mal liefen sie mit Dreierkette, mal mit Viererkette auf. Eine klare Vorstellung gibt es nun wieder, doch dies allein reicht natürlich nicht aus. Roger Schmidt hatte schließlich auch ganz klar definierte Vorstellungen. Doch Bosz umgeht die Schwächen des fulminanten Schmidt’schen Pressingfußballs. Verschiedentlich nimmt die Mannschaft merklich das Tempo raus, anders ist die laufintensive Spielweise auch nicht 90 Minuten lang durchhaltbar.
Weniger flexibel stellten sich die Aufstellungen heraus. Es wird von einer ausgiebigen Rotation in der Startelf abgesehen. Auswechslungen erfolgten spät, oftmals wurden auch nicht alle Optionen ausgeschöpft. In dieser Saison ist das aufgrund der ausreichenden Abstände zwischen den Spielen nicht nur völlig unproblematisch, sondern auch ein klarer Vorteil. Es kann, sofern Verletzungen und Sperren dies nicht verhindern, immer die erste, beste, eingespielte Elf auf dem Feld stehen. In der nächsten Saison mit einer voraussichtlich dreifachen Belastung wird eine höhere Rotation nötig sein. Die nächste Transferperiode, die erste wirkliche für Rolfes und Bosz, ist daher von entscheidender Bedeutung. Wenn dort die richtigen Baustellen vernünftig angegangen werden, wird das Trainerteam eine Sommervorbereitung mit einem Kader bestreiten können, der mehr als konkurrenzfähig ist. Das heißt: Zentrale Kaderstützen wie Brandt, Havertz und Aránguiz halten, im zentralen Mittelfeld den Kader quantitativ verstärken, in der Außenverteidigung qualitativ, eine Reaktion auf den Abgang von Thelin und den wahrscheinlichen Abgang von Alario finden und auch die Lücke im linken Mittelfeld schließen, die Brandt durch seine neue Postion im Zentrum hinterlassen hat.
Für Bosz spricht auch, dass einzelne Spieler unter ihm einen besonderen Sprung machen konnten. Havertz konnte seine Entwicklung fortsetzen, Paulinho scheint mehr Einsätze zu bekommen und auch Volland sehe ich in verbesserter Form. Ich werde zwar noch nicht wirklich schlau aus seiner Rolle, denn er ist als Stürmer, überall auf dem Feld zu finden, arbeitet akribisch gegen den Ball und erzielt obendrein trotzdem noch Tore. Er ist längst nicht fehlerfrei, vergibt weiterhin Chancen leichtfertig, steht nicht immer optimal, unterm Strich ist er aber ein wichtiger Faktor für den Erfolg. Aránguiz war eine Stütze in allen Leverkusenern Systemen, seine aggressive Spielweise fügt sich aber besonders gut in die aktuelle Spielweise. Im Besonderen profitierte aber Julian Brandt vom Trainerwechsel. Die neue Position im Zentrum zwischen zehn, acht und Flügelposition ist (wie) für ihn geschaffen. Diese Umstellung ist perfekt aufgegangen, stellt seine großartigen Qualitäten besonders heraus und zeigt auch, dass Bosz seine Taktik den Spielern nicht einfach nur stumpf aufzwängt, sondern diese explizit an die Spieler anpasst.
Betrachtet man die taktischen Komponenten, finden sich ebenfalls viele gute Aspekte. Profitieren konnte das Trainerteam dabei von Grundlagen, die Roger Schmidt schon in Leverkusen etabliert hat: Hohes Anlaufen und ein starkes Pressing, um den Gegner zu langen Schlägen oder Fehlpässen zu zwingen. Sein Stammsystem ist noch immer ein 4-3-3, situationsbedingt änderte er aber taktische Details. Als Julian Baumgartlinger gegen den FC Bayern München eingewechselt wurde, wurde plötzlich im 4-2-3-1 gespielt. Situativ wurde aber auch mal mit Dreierkette verteidigt. Und als Karim Bellarabi verletzt ausfiel, es die rechte Flügelposition in Bosz‘ System neu zu besetzen galt, tat er genau dies nicht. Havertz, der formal auf dieser Position aufgestellt wurde, agierte zentrumsnäher in den Halbräumen. Das eröffnete zwar Räume, die Weiser verteidigen musste, verlagerte das Leverkusener Offensivspiel aber auf die linke Seite. Beim Auswärtsspiel beim BVB machte Bosz die rechte Abwehrseite der Dortmunder als Schwachpunkt aus und lieferte mich der taktischen Umstellung sein Rezept gleich mit.
Ausgehend vom neunten Platz nach der Hinrunde, wäre die Qualifikation für die Champions League ein bemerkenswerter Erfolg. Acht Spiele stehen noch aus, fünf Punkte beträgt der Abstand zum Vierten aus Gladbach. Keine unlösbare Aufgabe, aber eine ambitionierte. Lösbar und ambitioniert zugleich auch deshalb, da die Spiele gegen die direkten Konkurrenten Frankfurt und Leipzig noch ausstehen. Nicht schädlich ist es diesbezüglich auf jeden Fall, dass eine weitere Belastung durch andere Wettbewerbe nicht mehr vorhanden ist. Gelänge diese Qualifikation wirklich, wäre das ein erstes handfestes Anzeichen dafür, dass Bosz das Leverkusener Muster brechen kann.