Postfaktisch wurde nicht nur zum Wort des Jahres 2016 gewählt, sondern hätte auch ebenso gut das Unwort sein können. Ebenso zweiseitig war das Jahr von Bayer 04 mit vielen Höhen, aber zuletzt auch Tiefen. Nicht nur Trainer Roger Schmidt steht in der Kritik, sondern vermehrt auch Völler und Schade. Doch genau diese Kritik an beiden hat manchmal den Anschein des postfaktischen.
Ginge es nach vielen, dann hätten die beiden keine Zukunft mehr in Leverkusen. Gerade einmal 37% hatten sich auf Twitter dafür ausgesprochen, die aktuelle Führungskonstellation beizubehalten. Es gibt viele berechtigte Kritikpunkte an beiden, die ich weitestgehend auch teile. Ich würde mir wünschen, wenn sich die Öffentlichkeitsarbeit nur zwischen Rudi Völler, Roger Schmidt und den Spielern aufteilen würde. Denn kennst du Stephan Schippers? Oder Alexander Wehrle? Die meisten wohl kaum. Die Geschäftsführer von Borussia Mönchengladbach oder des 1. FC Köln tauchen in der regionalen Presse kaum auf. Von der überregionalen Medienlandschaft braucht man erst gar nicht sprechen. Ganz anders hantiert es Michael Schade, der häufig die Öffentlichkeit sucht und zu aktuellen Geschehnissen Stellung nimmt.
Rudi Völlers Aussagen lassen sich teilweise als blanker Unsinn und sture Vereinfachung abstempeln. Auch wenn ich persönlich unentschlossen bin, ob Völlers kategorische Verteidigung der Mannschaft dem Verein Ruhe und damit die Basis für Erfolg gibt, oder ob mehr mahnende Worte und ein stärkeres Anspruchsdenken sinnvoll wären. Und selbstverständlich kann man auch anführen, man hätte Roger Schmidt längst entlassen sollen. Aber auch dieser Punkt ist streitbar.
Es bleiben zahlreiche Kritikpunkte, die sich aber nicht unbedingt auf die Hauptbereiche deren Aufgabenprofile beziehen. Anregungen an Schade bezüglich der wirtschaftlichen Führung des Vereins gibt es kaum. Die 45,7 Millionen Euro Gewinn im Geschäftsjahr 2015 kann man zwar nicht als alleinigen Erfolg von Michael Schade verbuchen, bekräftigen aber das gute Gefühl, dass ich von seiner Arbeit habe. Als Sportdirektor ist Rudi Völler verantwortlich für den vielleicht besten Kader der jüngeren Vereinsgeschichte, mit 262,45 Millionen Euro Marktwert (Transfermarkt.de) ist er zumindest definitiv der teuerste. Die Neuzugänge sind zwar nicht wie erwartet eingeschlagen, dennoch gab es nur wenige, die diese kritisiert haben. Stattdessen gab es – mit einzelnen Ausnahmen – viel Lob für die Transferpolitik und den aufgestellten Kader. Sind das nicht die primären Kriterien nach denen die Arbeit der Führungspersonen bewertet werden sollten? Und heißt das im Umkehrschluss nicht auch, dass die anderen Bereiche so dermaßen ungenügend ausgeführt werden müssten, dass die geforderte Entlassung gerechtfertigt wäre? Bei allen berechtigten Kritikpunkten sehe ich das nicht. In manchen Punkten genießen die beiden sogar meine Unterstützung.
Die Nachfolgelösung wird gleich mitgeliefert. Der von der Kritik verschonte Jonas Boldt wird als Sportdirektor gesehen. Langfristig wird er das auch bei irgendeinem Verein sein. Dennoch ist die Verschonung von der Kritik bemerkenswert. Jonas Boldt macht nämlich genau das, was ich und viele andere auch von Michael Schade fordern: Er hält sich aus der Presse vorwiegend raus. Daher wird bei seiner Bewertung nur die Kaderpolitik herangezogen. Da diese bei ihm überdimensional gut bewertet wird, müsste das ebenso für Rudi Völler gelten. Oder könnt ihr beurteilen, wie groß Boldts Anteil am Tagesgeschäft und bei der Abwicklung einzelner Transfers wirklich ist? Seine Scoutingfähigkeiten, seine Akribie und seine Kontakte nach Südamerika werden gefeiert, doch ob er allein der ausschlaggebende Faktor für einzelne Transfers war, lässt sich nicht beurteilen. Bei dem Transfer von Chicharito scheint das so gewesen zu sein, auf der anderen Seite waren Rudi Völlers Kontakte zum AS Rom und sein Ansehen, beim Transfer von Tin Jedvaj maßgeblich, wie der Kroate selbst bestätigte.
Ich finde, dass die sportliche Führung mit Völler und Boldt und die wirtschaftliche Leitung unter Schade personell perfekt besetzt ist. Bezüglich der anderen Aufgabenfelder würde ich mir von Völler und Schade eine andere Ausrichtung wünschen, doch sollte man sich diesbezüglich nicht zu sehr von den Gefühlen leiten lassen, wenn Völler mal wieder etwas Unsägliches sagte. Insgesamt überwiegt das Haupttätigkeitsfeld. Schade und Völler sollen bleiben.