Lange war fraglich, ob Charles Aránguiz seinen Vertrag verlängert. Aufgrund der Corona-Pandemie drohte zuletzt sogar ein stiller Abschied, die Auswärtspartie im Ibrox Stadium hätte nachträglich zu seinem Abschiedsspiel werden können. Es war ein standesgemäßer Auftritt samt Tor und Sieg, ungefähr so wie man sich gewiss sein letztes Spiel beim alten Verein vorstellt, nur mit dem nicht ganz unbedeutenden Makel, dass man sich erst mitten in der Rückrunde befindet. Ein würdigerer Abschied wurde nun erheblich wahrscheinlicher, der Chilene verlängerte um drei weitere Jahre. Die Freude unter Bayer-Fans war zurecht riesig.
Der Zeitpunkt der Verlängerung fiel zu einer Zeit, die typisch für seine Karriere scheint. Aktuell in einer Pandemie, ohne Spiele und große Aufmerksamkeit für sportliche Geschichten, denn auch wenn der deutsche Fußball gerade viel Berichterstattung bekommt, es hängt dann doch alles mit Corona zusammen. Eine typische Verlängerung geht zu solchen Zeiten schon mal unter. Auch neben dem Platz sucht Aránguiz nicht die große Aufmerksamkeit, bezüglich Interviews gibt sich der Chilene eher bedeckt, auch seine Äußerungen in den sozialen Netzwerken sind sehr zurückhaltend. Auf dem Platz aber überzeugt er, wenngleich er sich aufgrund seiner Position auch nicht über irgendwelche plakativen Rankings in den Fokus spielen kann, die Tore oder Vorlagen zählen. Aránguiz ist wohl das, was man einen unterschätzten Spieler nennt.
Statistiken, die Aránguiz anführt und gleichzeitig anreißen, wo seine Qualitäten liegen, gibt es, man stößt nur nie auf sie. So ist Aránguiz auf seiner Position der Bundesligaspieler mit der zweithöchsten Quote erfolgreicher Pressingaktionen. Das heißt, dass in 36% der Fälle Bayer Leverkusen innerhalb von fünf Sekunden in Ballbesitz gerät, wenn der Chile Druck ausgeübt hat. Dominiert wird er nur von Baumgartlinger, er kommt auf 36,8%. Er wirkt physisch nicht wie ein defensivstarker Mittelfeldspieler, kann dies aber durch eine bemerkenswerte Ausdauer, sein gutes Timing und seine giftige Zweikampfführung ausgleichen, wobei er meistens fair bleibt. Einzig in Luftduellen werden größere defensive Schwächen deutlich, bei einer Körpergröße von 172cm. ist das aber auch nur wenig verwunderlich. Manchmal drängt sich das Gefühl auf, er würde durch seine aggressive Spielweise ein wenig überdrehen, prinzipiell macht ihn seine Energie aber zu einem guten Pressing-Spieler, insbesondere eben im Gegenpressing. Räume schließt er konsequent, Ballverluste passieren ihm selten. Auch weil er nicht am Ball klebt, früh den Pass wählt und damit das Spiel beschleunigt. Aránguiz ist Leverkusens Motor.
Er trägt durch sein intelligentes Passspiel zu Bayers Offensivpower bei, er ist elementar für die Einleitung von Chancen, nicht aber für die Vollendung oder den letzten tödlichen Pass. Er hat ein gutes Auge, eine schnelle Entscheidungsfindung, was in klugen langen und kurzen Pässen mündet, er ist klein und wendig genug, um in direkte Duelle zu gehen und besitzt eine Schusstechnik, die besonders kurz vor dem Strafraum optimal zur Geltung kommt. Aránguiz gefällt mir daher auch gut, wenn er mal Läufe in die Tiefe wagt, allerdings geschieht dies in noch ausbaufähiger Anzahl. Wobei man dies nicht zwangsläufig als Kritik verstehen muss, denn ein zu hoch positionierter Aránguiz würde in der Defensive fehlen.
Ob offensiv oder defensiv: Durch seine Positionierung zwischen beiden Welten ist er stets umtriebig und hat eine gute Bindung zum Spiel und ist damit elementar für die Dynamik des Spiels. Nicht grundlos griffen in der Vergangenheit viele gegnerische Trainer darauf zurück, ihn in Manndeckung zu nehmen, um sein Wirken zu begrenzen.
Eine angemessene öffentliche Würdigung seiner Qualitäten außerhalb von Leverkusen wird er durch seine Vertragsverlängerung wohl nicht mehr bekommen. In der chilenischen Nationalmannschaft wird er wohl stets „el príncipe“, der Prinz, hinter „König“ Arturo Vidal bleiben, der neben und auf dem Platz dann doch deutlich auffälliger ist. Und da er nach vielen Jahren beim Bayer in der öffentlichen Betrachtung immer noch unter dem Radar läuft, wüsste ich auch nicht, warum sich das in Zukunft ändern sollte. Mit einem Wechsel zu einem renommierteren Klub hätte er das ändern können, für den neutralen Fußballschauenden wäre es auch durchaus sehr spannend gewesen, ihn noch einmal in einer anderen Mannschaft eingebettet spielen zu sehen. Da mir diesbezüglich aber jegliche Neutralität fehlt, freue ich mich einfach auf viele weitere Spiele mit ihm.