Es ist kompliziert

Die Mannschaft ist am Ende. Es bedarf dringend eines neuen Impuls und es scheint aktuell nicht so, als könne dieser von Heiko Herrlich kommen. Eine scheinbar eindeutige Lage, doch dennoch kann ich mich nicht mit voller Überzeugung der Forderung nach einem Trainerwechsel anschließen.

Die Mannschaft ist am Ende. Um nur einige Probleme zu nennen: eklatante Defizite in der Defensive, mangelnder Spielaufbau, aufkommende Inkonstanz nach nur einer Halbzeitpause und fehlende offensive Kreativität. Eine Entwicklung erwartet man seit dem ersten Spiel, vermisst sie aber bisher sehnlich. Es bedarf dringend eines neuen Impuls, für viele ist ein Trainerwechsel daher schon längst überfällig. Aus der Retrospektive scheint die optimale Chance dafür vertan, die Länderspielpause nach dem torlosen Remis in Freiburg wäre optimal gewesen. Trotz der englischen Wochen beharren einige nach wie vor auf die Entlassung von Heiko Herrlich. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, eben habe ich sie auch schon kurz skizziert. Und obwohl mir all dies bekannt ist, kann ich mich nicht mit voller Überzeugung diesem Tenor anschließen. Das mag skurril klingen, ich versuche es aber im Folgenden darzulegen.

Zum einen liegt es daran, dass Heiko Herrlich nicht die alleinige Ursache aller aktuellen Probleme ist. Einiges würde sich auch nicht ändern, nur wenn jemand anderes auf dem Trainerstuhl säße. Dazu zählen u.a. Fehlplanungen in der Kaderpolitik, aber auch Verletzungen, die in dieser Saison nicht mit falscher Trainingssteuerung begründet werden können, sondern einfach mit Pech.

Nicht alle Schuld liegt bei Herrlich, …

Herrlich forderte vollkommen zurecht am Anfang der Saison einen weiteren Linksverteidiger. Wendell war schon in der vorherigen Saison vollkommen überspielt und Henrichs, schien für das Trainerteam keine wirkliche Alternative zu sein. Einen Vorwurf, den man Herrlich zu Teilen auch machen kann. Schnell zeichnete sich ab, dass daraus nichts werden würde, denn die Finanzen waren knapp, Linksverteidiger sind rar und dementsprechend begehrt und man hätte auch damit leben können, wenn Henrichs nicht alternativlos verkauft worden wäre. Das finanzielle Argument fiel damit weg und was blieb war die grobe Fahrlässigkeit, mit nur einem einzigen etatmäßigen Linksverteidiger in eine Saison mit dreifacher Belastung zu gehen. Im defensiven Mittelfeld war Leverkusen hingegen gut aufgestellt, ein weiterer Spieler mit stärkeren offensiven Impulsen fehlte aber. Aránguiz ist der einzige im Kader mit diesem Profil. Auf dieser Position verstehe ich schon eher, dass es finanziell nicht möglich war, man wahrscheinlich auch andere Schwerpunkte hatte, die Kritik bleibt dennoch bestehen. Vollkommen absurd wirken diese beiden Punkte aber, wenn man an den Transfer von Isaac Kiese Thelin zurückdenkt. Meiner Meinung nach der bemerkenswerteste dieser Saison. Nicht, weil er besonders teuer war, nicht, weil er ein überragender Stürmer ist und auch nicht, weil es vor der Verpflichtung eine lange Transferschlacht gab. Im Grunde war es sogar ein echt langweiliger Transfer. Das bemerkenswerte lag im Grund. Pohjanpalo verletzte sich langfristig, danach wurde er verpflichtet. Man könnte jetzt darüber diskutieren, ob die Leihe von Thelin als Reaktion auf die Verletzung zu verstehen ist, oder losgelöst davon zu bewerten ist. Denn schon deutlich eher wünschte sich Herrlich einen großen durchsetzungsstarken Stoßstürmer. Andere sehen ihn daher eher als Ersatz für Kießling. Aber wie man es dreht und wendet, es wurde ein Ersatzspieler für einen Ersatzspieler verpflichtet, währenddessen ein Linksverteidiger und ein zentraler Mittelfeldspieler nicht kamen.

Diese Probleme zeigten sich dann auch in den letzten Wochen, verstärkt durch Verletzungen. Wendell ist vollkommen überspielt, benötigt dringend eine Pause, ist aber dazu verdammt, immer auf dem Platz zu stehen. Retsos, am ehesten sein Back-Up, fehlte verletzt völlig. Auch Aránguiz und Baumgartlinger konnten noch keine Hilfe sein. Das zentrale Mittelfeld, die Achse eines jeden 4-2-3-1, war so in dieser Saison oft gelähmt im Angriffsspiel und anfällig in der Stabilität. All das kann keine alleinige Erklärung für diese Saison sein, denn trotz alledem steht ein sehr guter Kader bei Bayer Leverkusen unter Vertrag. Dennoch sehe ich diese beiden gravierenden Punkte, für die Jonas Boldt die Hauptverantwortung trägt.

… dennoch bleibt die Kritik an ihm bestehen.

Nicht einzelne Spieler befinden sich in einem Formtief, sie überzeugen kollektiv nicht. Mit kleineren Ausnahmen natürlich, Kai Havertz sei hier genannt, aber im Grunde trifft diese Einschätzung zu. Und damit fällt die Verantwortung automatisch auf den Trainer zurück. Er war in der vergangenen Saison nicht unerfolgreich. Sein größter Erfolg war, aus zerrütteten Einzelspielern, wieder eine Mannschaft zu formen. Dennoch offenbarten sich einige Kritikpunkte in dieser Saison. Die meisten davon sind nicht einmal neu, sie verstärkten sich nur in dieser Spielzeit. Spürbare Leistungsschwankungen sind so zum Beispiel beim Bayer nicht unbekannt. Doch zeigten sie sich in der Vergangenheit meist zwischen den Spielen, nicht innerhalb einer einzigen Partie. Auf gute 45 Minuten folgen weitere, wo man nur mit dem Kopf schütteln kann. Das einzig konstante Spiel war in Freiburg, leider aber auch konstant schlecht. Das ist auch eine Frage der Mentalität. Damit steht einerseits jeder einzelne Spieler in der Kritik, im Gesamten ist dies aber die Aufgabe des Trainers. Ich wünsche mir auch mehr Mut von ihm. Es ist stets dasselbe 4-2-3-1 mit den gleichen Spielern. „Haben nicht die Möglichkeit zu rotieren“ sagte er in einer Pressekonferenz, nur um im nächsten Spiel, dann Kiese Thelin, Alario, Jedvaj und Paulinho auf der Bank zu lassen. Auf kurzfristige Sicht kann ich es verstehen. In jedem Spiel dieser Saison, stand er unter dem Druck zu gewinnen, da vertraute er lieber auf die Etablierten, als ins Risiko zu gehen. Erfolg hatte diese Strategie aber nicht. Stattdessen sind viele Spieler überspielt, Schreck und Bednarczyk bekamen nichtmal eine Chance und der Gegner hat ein gutes Bild davon, was er erwarten kann.

„Hätte ich es zu entscheiden, ich wüsste es nicht.“

Es bedarf dringend eines neuen Impuls und es scheint nicht, als könne dieser von Herrlich kommen. Retsos, Aránguiz und Baumgartlinger kommen nun ungefähr gleichzeitig aus ihren Verletzungen zurück. Man darf ihnen nach der langen Auszeit nun nicht zu viel aufbürden, ihre Anwesenheit kann aber schon ein signifikanter Unterschied sein. Durch sie besteht die Chance auf einen frischen Impuls. Ein weiterer Punkt, der mich in die Unsicherheit treibt, ist die mangelnde Alternative. Nur an einem Trainer festzuhalten, weil man selbst keine Alternative kennt, ist Unsinn. Aber ein valider Punkt ist es dennoch. Ich habe überhaupt keine Zukunftsperspektive; die Zeit nach einer Entlassung wäre für mich ein noch größeres Fragezeichen. All diese Punkte; die Kaderpolitik, die Verletzungen, die Hoffnung auf die Regenerierten und die fehlende Alternative auf der einen und die offensichtlichen Fehler von Herrlich und die dadurch resultierten Leistungen auf der anderen Seite, lassen mich ratlos zurück. Hätte ich es zu entscheiden, ich wüsste es nicht.

11 Kommentare

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Wobei gerade das letzte Spiel gegen Gladbach taktisch hervorragend war, was in diesem Fall
klar für Heiko Herrlich spricht.
Außerdem ein Beweis, dass der Kader sehr gut ist und der gesamte Verein hohem Druck durchaus
gewachsen ist.

Ja, taktisch hat mich Heiko Herrlich auch sehr überrascht. Dieser Artikel wurde vor dem Spiel gegen Bremen geschrieben und publiziert, zu einem Zeitpunkt, wo er taktisch starr war und nicht überzeugen konnte. Umso mehr freut es mich, dass einer meiner Kritikpunkte („Es ist stets das selbe 4-2-3-1“) aufgegriffen wurde und die Mannschaft gegen Gladbach, aber auch schon gegen Bremen, taktisch viel flexibler auftrat.

Schade, ich finde das Ergebnis spiegelt nicht das Spiel wieder.
Aber Hoffenheim hat es besser gemacht.
Unsere Abwehr inkl. Torhüter war heute bestenfalls Mittelmaß, der Sturm bekommt trotz
schöner Spielzüge und zahlreicher Torchancen den Ball nicht ins gegnerische Tor.
Ich möchte das nicht allein an Herrlich festmachen, aber Hoffenheim spielt mit gleicher Kaderqualität
konstanter und besser, ist gefährlicher.
Bailey und vor allem Paulinho hätte bei dem Spielstand nicht gebracht, da passierte nichts.
Bei allem Respekt vor Heiko Herrlich sollte Völler, sofern machbar, Hasenhüttl verpflichten bevor der Karren chronisch im Dreck sitzt und wir mit Gisdol oder Stöger wieder 2 Jahre rumdümpeln.

Es muss sich was tun. Sieht doch jeder. Man oh man. Bayer schafft es immer mehr mich in ein Richtung zu drücken, dass mich der Bayer nicht mehr juckt. Meine Tochter will immer hin. Fahr aber keine 350 km einfach für Rotzfußball! Völler raus da sollte man mal anfangen!

Habe fertig.

Danke für deinen Kommentar! Das Thema Rudi Völler habe ich bewusst rausgelassen, hier sollte es nur um Herrlich gehen. Die Kritik an Völler ist aber ein ebenso lautstarkes Thema, du hast es auch selbst schon angesprochen. Ein paar Gedanken habe ich dazu auch aufgeschrieben. Weder ein Plädoyer für ihn, noch eins gegen ihn, ich wundere mich nur, warum (fast) alle Kritik sich nur auf ihn bezieht und die anderen Akteure im Management oft unerwähnt bleiben. (https://t.co/TZLVSgXIMa)

Nochmal kurz zu Völler
…Aber wer weiß schon, wie seine interne Kommunikation ist? Angenommen intern beschönigt er nicht, spricht Probleme klar an, erzeugt Druck. Greift dann diese Kritik noch so sehr? Ob er intern so ist? Keine Ahnung…
Im Grunde ist es egal wie Völler sich wirklich verhält, denn das Ergebnis seiner Arbeit ist ernüchternd.
In seiner gesamten Amtszeit gab es nicht einen einzigen Titel und der Verein entwickelte sich zurück.
Werder Bremen hatte definitiv keinen besseren und teureren Kader, wurde deutscher Meister und hat selbst
in schlechten Jahren regelmäßig den DFB Pokal gewonnen.
Völler hat nach meiner Auffassung als Sportdirektor hier wenig vorzuweisen.
Er trägt für den deutlichen Verfall sicherlich nicht die alleinige Schuld, jedoch ist er in meinen Augen maßgeblich dafür verantwortlich.

Es gibt Alternativen, als da wären Ralph Hasenhüttl, Andre Vilas Boas, Claudio Ranieri, Marco Rose, oder vor wenigen Tagen noch Hannes Wolf. Ich mag es mir nicht anmaßen die erfolgsquote eines jeden einzelnen bei Bayer zu bewerten. Aber für das Scouting und die Verpflichtungen von Alario, Brandt, Bailey, Aranguiz, Lars Bender, Panos Retsos und Jonathan Tah u.a. nehmen wir auch viel Zeit und Geld in die Hand. Warum nicht auch beim Trainer?? Da geben wir uns seit Jahren mit low quality und low budget Lösungen zufrieden.

Es muss im Management etwas passieren, von dort muss ein anderer Anspruch
vorgelebt werden, sonst wird auch ein Hasenhüttl hier scheitern.
M.E. ist die Zeit für Rudi Völler abgelaufen, schon in der Vergangenheit musste uns Sascha Lewandowski
zweimal in die Spur bringen, weil Völler die falschen Trainer geholt und dann an ihnen gegen jede Vernunft überlange festhielt.
Das Drama wiederholt sich regelmäßig, erst unter Völler entwickelte sich dieser Verein m.E. zur grauen Maus
mit vielen peinlichen Darbietungen.
Bayer braucht kein Gesicht, Bayer muss wieder eine ernsthafte Größe werden und dazu brauchen wir
keine neue Mannschaft, sondern einen namhaften Spitzentrainer und eine gute Führungsebene, aber ganz gewiss keinen Frühstücksdirektor zum Vorzeigen, der den gesamten Verein lähmt und auf alles eine Antwort hat.
Marcel Reif hat das schon richtig genannt.
Wer unsere Möglichkeiten und den Kader klein redet, sollte sich fragen was beispielsweise bei der Hertha läuft,
die haben kein Gesicht und keinen Monteretat, spielen aber mit hoher Moral tollen Fussball und begeistern ohne Meister werden zu müssen.
Mir tut Heiko Herrlich leid, er ist ein toller Mensch und ganz bestimmt kein schlechter Trainer, es passt
aber nunmal leider nicht.
Ich persönlich glaube nicht, dass sich beim Bayer langfristig wirklich etwas ändert.

Danke für deinen Kommentar! Das Thema Rudi Völler habe ich bewusst rausgelassen, falls es dich aber interessiert, habe ich hier (https://t.co/TZLVSgXIMa) ein paar Gedanken dazu geschrieben. Das ist weder ein Plädoyer für ihn, noch eins gegen ihn, ich wundere mich nur, warum (fast) alle Kritik sich nur auf ihn bezieht und die anderen Akteure im Management oft unerwähnt bleiben.

Genauso hilflos scheint die GF von Bayer Leverkusen zu sein, denn sie glänzt nicht erst
seit dieser Saison mit sturer Inkonsequenz und redet sich die Dinge schöner als sie sind.
Eine kritische Aufarbeitung der letzten verkorksten Saison wäre ein erster richtiger Schritt gewesen,
stattdessen werden die Verantwortlichen befördert und reden sich Ihre Welt schöner als sie ist – mittlerweile
nimmt das absurde Formen an.
Aber was offensichtlich nicht erkannt wird ist die Tatsache, dass Bayer04 als Gesamtkonstrukt immer tiefer
in den Schlamassel gezogen wird, da offenbar niemand mehr in der Lage ist das Schiff richtig und mit Verstand zu lenken.
Daher sehe ich einen Trainerwechsel mittlerweile nicht als Lösung der Probleme, zumal für echte Alternativen
Bayer scheinbar wenig interessant ist, was auch eine Folge des jahrelang schleichenden Verfalls ist.
Ich bin mir aber sicher, dass die Handlungsunfähigkeit irgendwann auf natürliche Weise ein Ende findet, Bayer kann sicher noch einige Jahre so dümpeln, einmal geht der Schuss nach hinten los und dieser Verein steigt Wahlmöglichkeit ab.
Wie realistisch das ist, zeigte die letzte Saison unter Korkut, wo es am Ende nur um den Klassenerhalt ging.
Ich persönlich glaube nicht an die nötige Wende und bin mir sicher dass die Zukunft von Bayer 04 das ist, was bereits wir seit einigen Jahren hier erleben.
Das ist um Fan mit Feuer und Flamme zu sein leider zu wenig und daher werden wir nach über 20 Jahren Treue nicht mehr in Stadion gehen und auch keine Trikots etc. kaufen.
Es reicht einfach.

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