Zwei Geisterspiele hat Leverkusen bislang absolviert, geändert hat sich im Wesentlichen aber nicht viel. Leverkusen stützt damit die allgemeine These, dass Vereine, die vor der Corona-Pause gut drauf waren, es nun auch weiterhin sind. Im Detail gab es dennoch einige spannende Entwicklungen.
Wie erwartet hatte Leverkusen in den Spielen jeweils hohe Ballbesitzanteile. Angriffe wurden oft über die Flügel eingeleitet, indem gegnerische Außenspieler nach vorne oder innen gelockt wurden, bevor dann ein Pass aus dem Mittelfeld auf die hochgeschobenen Außenverteidiger oder Flügelspieler gespielt wurde. Insbesondere gegen Bremen gelang es gut, Raum auf außen zu schaffen, weil der jeweils inverse Flügelspieler zusammen mit Havertz nach innen lief, wodurch die Verteidiger aufs Zentrum konzentriert waren. Bremen fand darauf während des gesamten Spiels kaum eine Lösung, so konnte Leverkusen noch beim 1:3 durch Weiser den Ball auf diese Weise auf Diaby bringen, der ziemlich frei stand.
Gegen Werder waren es formationsbedingt insbesondere die Außenverteidiger, die auf Außen im letzten Drittel am Zug waren, gegen Gladbach waren es Diaby und Bellarabi. Man könnte grundsätzlich der Auffassung sein, dass Halbraumflanken als Mittel problematisch sind, auch ich bin dieser Einschätzung gar nicht so abgeneigt. Da im konkreten Fall nur Havertz als Abnehmer zur Verfügung stand, der aber positionsbedingt gar nicht andauernd im gegnerischen Strafraum verweilte und die Flanken von Sinkgraven, Weiser, Bellarabi oder Diaby kamen, stellte sich dieses Mittel als besonders erfolgsvernichtend heraus. Bellarabis Flanken waren sowieso schon immer zweifelhaft, Sinkgraven reihte sich da gegen Bremen mit ein. Dabei bestand gelegentlich durchaus die Möglichkeit, flach in den Rückraum zu spielen, wo ein Mittelfeldspieler abschlussbereit stand, es wurde dann aber doch oft der hohe Ball.
In den Ballbesitzphasen, wo Leverkusen keinen freien Raum fand, waren Demirbay und Aránguiz besonders gefordert. Gegen Bremen gelangen ihnen dabei besonders viele Vertikalpässe ins letzte Drittel. Der Chilene zeigte dabei noch einmal seine großartige Qualität, ohne besonders aufzufallen. Es gab keine spektakulären Aktionen, bedeutende Fehler aber auch nicht. Es sind die Kleinigkeiten und die große Konstanz, die ihn so auszeichnen. Auch gegen die Borussia waren beide gesetzt, wo Aránguiz vermehrte Vertikalläufe machte, meist eingebettet in einer Klatschpass-Kombination mit einem Mitspieler, was zwar oft im Sand verlief, ich grundsätzlich aber für ein spannendes Element halte. Demirbay war ebenfalls deutlich auffälliger, was als Lob zu verstehen ist. In der Hinrunde kam es durchaus mal vor, dass ich nach dreizig Minuten überrascht seine Anwesenheit feststellte.
Dass Leverkusen stets stark presste, dürfte niemanden mehr überrascht haben. Dass die Intensität dennoch über 90 Minuten jeweils so hochgehalten werden konnte, schon eher. Insbesondere gegen Mönchengladbach, wo zwei sehr pressingstarke Mannschaften bei schwülen Temperaturen aufeinandertrafen und die Intensität im Spiel dennoch gehalten werden konnte.
Das führte dazu, dass der Spielaufbau beider Torhüter stark erschwert war. Gladbachs Trainer Marco Rose zeigte sich auf der Pressekonferenz vor dem Spiel seiner Mannschaft gegen Werder Bremen gar nicht so unzufrieden mit der Partie gegen Leverkusen. Er hob positiv hervor, dass man Lukáš Hrádecký zu 31 langen Bällen zwang und tatsächlich kamen auch nur zwei von zwölf Bällen in der gegnerischen Hälfte an. Auf der anderen Seite war Demirbay nah bei Strobl, Bellarabi und Diaby in Reichweite der beiden Innenverteidiger, kurzum wählte auch Sommer meist den langen Ball.
Durch die noch anhaltende Verletzung von Kevin Volland, wenngleich er sich schon wieder im Mannschaftstraining befindet, spielte abermals Kai Havertz im Sturmzentrum als sogenannte Falsche 9. Regelmäßig ließ er sich fallen, stellte damit eine Überzahl im Mittelfeld her, leitete Offensivaktionen selbst mit ein, vor allem provozierte er damit aber ein Dilemma beim Gegner. Sollen die Verteidiger Havertz folgen, in der Gefahr Lücken aufzumachen, oder soll die Position gehalten werden, wodurch der Gegner aber in Überzahl agieren kann?
Havertz‘ Spiel wird man nicht gerecht, wenn man nur auf seine Ballaktionen schaut. Ja, sein Kopfballspiel ist gut, seine sonstigen Abschlüsse auch, seine Gelassenheit vorm Tor ist beeindruckend und sein Passspiel präzise. Macht ihn das zu einem sehr guten Bundesliga-Spieler? Ja. 100 Millionen Euro wert? Nein, wäre da nicht sein unglaubliches Gefühl für den Raum. Durch seine Läufe, wie eben bereits beschrieben, verschaffte er entweder seinen Mitspielern Raum, weil er mindestens einen Gegenspieler zu einer Reaktion zwang, oder er konnte selbst hinter der Kette oder in einem sonstigen freien Raum angespielt werden. Darauf stellten sich Bremen und Gladbach natürlich ein, verhindern ließ es sich aber dennoch nicht. Beim Führungstreffer von Havertz gegen die FohlenElf profitierte die Mannschaft von Peter Bosz von dem Fehlpass von رامي بن سبعيني [Ramy Bensebaini] auf Strobl, Gladbachs Innenverteidiger standen aber auch nicht optimal zu Havertz, der sich ins Mittelfeld fielen ließ.
In naher Zukunft wird Kevin Volland zurückkehren, nun stellt sich aber die Frage wohin? Havertz gefällt mir im Zentrum zu gut, um ihn wieder auf einer tieferen Position sehen zu wollen. Bleibt der Flügel, wo in diesen zwei Spielen schon einige auflaufen durften. Wirtz überzeugte bei seinem Debüt. Sehr gut in seinen ersten Ballkontakten, was Ballannahme und -behandlung angeht, physisch und in der Vollendung mit Defiziten, wie es völlig logisch ist, wenn man der drittjüngste Spieler der Bundesligageschichte ist. Trotz der großen Konkurrenz sehe ich Kevin Volland aber erstmal auf dem Flügel, auch weil Bellarabi und Bailey jeweils nicht brillierten.
Nachdem Leverkusen in der ersten Halbzeit im Borussia-Park die Führung nicht ausbauen konnte, auch weil Demirbay die Erinnerung zurückholte, dass in der Hinrunde konstant über die Chancenverwertung geredet wurde, tauchten in der Halbzeit zahlreiche Tweets auf, die das thematisierten, was mir auch im Kopf schwirrte und dann in einer milderen Variante auch eintraf. Mönchengladbach stellte auf ein 3-4-3 um und kam zurück, glich aus, machte aus einer von Leverkusen dominierten Partie eine offene Kiste und das nicht einmal mit herausragenden Mitteln. Aus dem Halbfeld wurden zahlreiche Bälle hinter die letzte Kette über einen Innenverteidiger geflankt, meist Sven Bender, was funktionierte, weil die Abstimmung in der Dreierkette nicht immer passte, sodass dann ein weiterer Innenverteidiger, meist Aleksandar Dragović, einem durchgestarteten Gladbacher gegenüberstand.
Konterabsicherung beginnt bei Bosz mit dem Gegenpressing. Kann eine Mannschaft diesem aber entgehen, hat es sehr gute Chancen, wie z.B. RaBa Leipzig in der Hinrunde gegen die Werkself.