Hin und Her der Herrlich-Elf

War man mit der Hinrunde zufrieden, dürfte man auch eigentlich von der Rückrunde nicht enttäuscht sein. Bayer 04 Leverkusen steht immer noch auf dem vierten Tabellenplatz und die Punkteausbeutung ist ungefähr auch gleich. Dennoch ist gefühlt die Unzufriedenheit gestiegen. Die Diskrepanz zwischen guten und weniger guten Partien scheint größer geworden zu sein und Erklärungen für diese Inkonstanz fehlen oftmals.
Ein Blick auf die Statistik: Dreizehn Spiele wurden bislang in der Bundesliga gewonnen, sieben verloren und neun endeten in einem Remis. Was sind die Unterschiede zwischen den Siegen und den anderen Partien?

Ein Faktor ist immer der Gegner. Drei Mannschaften stehen aktuell in der Tabelle auf einem besseren Platz. Gegen keine dieser Mannschaften konnte in dieser Saison gewonnen werden. Die fünf Schlusslichter wurden hingegen jeweils mindestens einmal besiegt. Ein Faktor ist es also allemal, die Verantwortung schöbe man damit allerdings von der Mannschaft weg. Auch erklärt es nicht, warum die Mannschaft von Heiko Herrlich nicht erfolgreicher gegen andere schlechter platzierte Vereine auftrat.

Der Kader wird in solchen Einschätzungen oftmals zweimal thematisiert. A priori bei der Bewertung der Kadertiefe und Spielerqualität. Nach diesen Gesichtspunkten überrascht die aktuelle Platzierung wenig. A posteriori bei der Untersuchung, ob die Spieler ihren Erwartungen entsprachen und wie viele Spieler verletzungsbedingt passen mussten. Spieler mit einem andauernden Leistungstief gab es kaum. Und wenn man dann doch welche nennen wollte, wie z.B. Bellarabi, wird die Schwächung auf seiner Position durch Teamkollegen kompensiert. Bailey oder Volland ließen sich an dieser Stelle nennen. Verletzungen waren beim Bayer zuletzt auch kein großer Faktor. Fast alle Spieler waren permanent fit, abgesehen von Kapitän Lars Bender. Wie die Zahlen aber zeigen, muss nicht erst die halbe Mannschaft ausfallen bis es zum Faktor wird, es reicht auch ein einziger Spieler. In den Spielen, in denen Bender in der Startelf stand, konnten im Durchschnitt 2,00 Punkte geholt werden, in den Spielen ohne ihn nur 1,09 Punkte.

Möchte man nun eine typische Niederlage mit ihren statistischen Eigenheiten zeichnen, ließe sich erst mal festhalten, dass es egal ist, ob diese Zuhause oder auswärts stattfindet. In der BayArena wurden 23 Punkte, in fremden Stadien 25 Punkte geholt. Einen direkten Zusammenhang zwischen Ballbesitz und Erfolg gibt es auch nicht. Dieser liegt im Durchschnitt bei 54,15% bei Siegen, bei 53,22% bei Unentschieden und bei 55,29% bei Niederlagen. Gleiches gilt für die Zweikampfquote (49,88% im Durchschnitt; max. Abweichung bei Niederlagen von -2,17), die Passquote (80,17% im Durchschnitt; max. Abweichung bei Unentschieden von -2,17) und die Anzahl der Pässe (495 im Durchschnitt; max. Abweichung bei Unentschieden von -32,77).

Bei der statistischen Beobachtung finden sich aber auch Unterschiede. Offenkundig ist, dass die Werkself bei Siegen mehr Tore schoss und weniger kassierte als bei Niederlagen. Zuspitzen lässt sich das im folgenden Faktum: Verlor Leverkusen, schoss das Team nie mehr als ein Tor (0,57 im Durchschnitt), gewann die Mannschaft von Heiko Herrlich, erzielte der Gegner nie mehr als ein Tor (0,46 im Durchschnitt). Gibt es bei einem Bayer 04-Spiel einen Sieger, ist dieser oftmals eindeutig.
Es bleibt die Frage, warum Bayer 04 in verschiedenen Partien verschieden gut war. Nur mit dem Gegner und Lars Bender lässt sich das nicht erklären. Warum also bei Siegen ungefähr drei Torschüsse (15,77) mehr abgegeben wurden als bei Niederlagen (12,86), lässt sich auch nur mäßig mit den fünf Kilometer mehr Laufleistung begründen.

Bleibt die taktische Komponente. Herrlich bewies dabei regelmäßig das Talent, während des Spiels passend umzustellen. Eine Folge davon ist, dass in der ersten Halbzeit in Bundesliga und Pokal 21 Tore erzielt wurden, in den Minuten danach doppelt so viele. So sorgte im ersten Spiel gegen Gladbach die personelle Umstrukturierung, verbunden mit einem Tausch von Spielern auf ihre hauptsächliche Position, für die Wende. Wechsel zur Halbzeit waren ein häufiges Mittel. In fünf Bundesligaspielen der Hinrunde lag die Werkself nach 45 Minuten hinten, jeweils wechselte Herrlich direkt zweimal. In der Rückrunde schenkte der Trainer den auf den Platz stehenden länger das Vertrauen. Gegen München, Berlin und Schalke verzichtete er auf diese Wechsel. Nur gegen Köln griff er darauf wieder zurück. Allerdings gab es in dem Derby auch wenig Gründe, nicht deutlich zu wechseln. Und z.B. gegen Mainz wechselten die Flügelspieler die Seiten, wenngleich die Initiative nicht vom Trainer kam.

Herrlich startete gegen Leipzig in einem 3-4-3. In anderen Spielen ließ er in einem 4-2-2-2 oder einem 4-2-3-1 spielen, wie z.B. gegen Augsburg. Dies sorgte für ein Ausbremsen des gegnerischen Spiels durch das Zentrum, sodass nur 22% des Offensivspiels dort stattfand. Gegen Leipzig öffnete sich das Zentrum mit der angepassten Formation. Dort kamen 31% der RaBa-Angriffe durch die Mitte. Offensiv ließ es den Spielern aber auch mehr Freiräume und das stärkere Pressing, wenn Bayer mit Dreierkette spielt, setzte die Sachsen auch erfolgreich unter Druck.
Das Trainerteam stellt die Mannschaft vor jeder Partie zielgerichtet auf den Gegner ein, was aber nicht immer aufgeht. Der Erfolg hängt daher auch maßgeblich von den Umstellungen und der taktischen Flexibilität ab.

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